Ein Retreat mal ganz nüchtern betrachtet

Yoga-Retreat

Ich atme ein, strecke mich zur Decke, die Handflächen berühren sich. Ich atme aus und beuge mich nach vorne und schaue zwischen meine Beine hindurch. Nun stehe ich hier auf einer fremden Yogamatte, sehe fremde Leute um mich herum in einem fremden Land. Wie konnte es dazu kommen? Ich bin auf einem Yoga-Retreat.

Sie sprießen wie Pilze aus dem Boden. Es gibt sie in allen Winkeln der Welt und werden von Yoga-Lehrern, Meditationslehrern, klassischen Reisebüros oder sogar von der Kirche im Ort angeboten, die die meisten sicherlich noch nie von innen gesehen haben. Wenn aber Retreat draufsteht, sind die Erwartungen an Heilung, Erlösung und Erleuchtung geweckt. Ganz nach dem Motto: „In dieser Woche muss es klappen!“, wenn sich die Erleuchtung im normalen Yoga-Unterricht schon nicht einstellen will.

Retreat bedeutet übrigens nicht einfach nur Urlaub oder Ferien, wie der Uneingeweihte vielleicht glauben mag. Nein, Retreat heißt wörtlich übersetzt: Rückzugsort – im wahrsten Sinne des Wortes – in größtenteils abgelegene und kargste Gegenden dieser Welt, wo man den allgemeinen Freuden des Lebens entsagt hat. Da gibt es nichts, außer vielleicht 50 Einwohnern, einer einheimischen Spelunke und einem vergammelten Zigarettenautomaten. Oh, Moment mal, rauchen ist ja gar nicht erlaubt. Oder nur vor dem Anwesen, so dass es keiner sieht. Der nächst größere Ort ist meilenweit oder mehr entfernt und nur über hunderte von Serpentinen zu erreichen. Man soll ja schließlich von nichts abgelenkt werden und ganz bei sich bleiben. Und da liegt meistens auch schon das Problem. Man kann vor allem und jedem flüchten, aber nicht vor sich selbst, auch wenn man die freie Zeit nahezu ausschließlich mit dem Smartphone verbringt. Reisen ist oft nichts anderes, als die Flucht vor sich selbst. Aber das ICH holt dich immer ein. (Otto von Leixner)

Jetzt aber zurück zur Zufluchtsstätte, die meist von künstlerisch angehauchten Endfünfzigern mit Hang zu Woodstock oder zumindest Hippiezeit geleitet wird. Sie haben vor langer Zeit ihren Geburtsort verzweifelt verlassen und freuen sich über die zahlreichen erleuchtungssuchenden Gurus aus ihrem ehemaligen Heimatland samt Anhängern. Mit dem Geld, was die mitbringen, können sich die Endfünfziger einen netten Lebensabend machen.

Die Beschreibung der Unterbringung hat es eigentlich schon erahnen lassen, doch die Hoffnung stirbt zuletzt. Die Zimmer lassen auch die ewigen Optimisten etwas ernüchtern, denn sie erinnern eher an spartanisch eingerichtete Gefängniszellen ohne TV und Radio, aber immerhin mit eigener Nasszelle. Wer als Paar oder zu zweit anreist, hat meist Glück und erhascht eines der rar gesäten Doppelzimmer. Denn es hätte auch schlimmer kommen können, wäre das Los auf das 6-köpfige Gemeinschaftszimmer mit Stockbetten und Unisex-Bad auf dem Gang gefallen. Ganz anders wohnt Mr. Guru: meist etwas abgelegen in einem Einzelzimmer mit Klima-Anlage, während sich das „Fußvolk“ schon mal in Stufe 1 der Selbstfindung in Toleranz und Mäßigkeit übt.

Die von der Sonne getrockneten Handtücher, können eher über die Handtuchablage gebrochen werden als dass sie sich geschmeidig darum schmiegen, dafür haben sie nach dem Duschen einen herrlichen Peeling-Effekt und die mühselig angebräunte Haut wird so gleich wieder abgerubbelt. Sonst könnte später daheim noch der Eindruck entstehen, dass wir im Bratwursturlaub waren. Da unsere Haut so viel gründliche Pflege nicht gewohnt ist, wird das Duschen auf ein Minimum reduziert.

Unter dem Bett findet sich noch eine Knirscherschiene vom Vorgänger, die wahrscheinlich mal in einer kalten Nacht im Herbst bibbernd aus dem Mund gefallen ist, denn statt Heizung gibt es ganz großzügig ein zweites dünnes Laken. Dank des diffusen Lichts bleiben uns andere Überraschungen erspart und statt Lesen wird einfach früher geschlafen.

Apropos schlafen. Da man ja schon früh schlafen geht, kann man auch ohne Mühen früh aufstehen. Man muss es sogar. Das Hauptwerk wird vor Sonnenaufgang und vor dem Frühstück verrichtet. Sprich der frühe Vogel fängt zwar den Wurm, aber gegessen wird später, dann, wenn der Magen bereits auf dem Boden hängt. Immerhin ist es dann fast egal, ob es täglich Haferschleim gibt, denn der Hunger treibt’s rein.

Der Küchendienst, der hier ganz elegant Karma-Yoga genannt wird, erinnert dunkel an Landschulheim, aber dieser führt uns angeblich direkt ins Nirwana…herrlich wir kommen.

Männer werden oft ganz unvorbereitet von ihren Frauen mitgeschleppt, ohne dass sie vorher jemals einen Fuß auf eine Yogamatte gesetzt haben. Vielleicht auch ganz gut so? ;-) Denn wenn sie gewusst hätten, dass nun täglich 2x Yoga auf dem Programm steht, hätten sie lieber mit ihren Kumpels das Ballermann-Programm gebucht.

Nach den Yoga-Stunden versucht jeder auf seine individuelle Art dem Alltag zu entfliehen, aber ob sich der ein oder andere wirklich mit „sich“ beschäftigt bleibt dahin gestellt. Vielmehr versucht man sich und seinen Geist ein wenig abzukühlen. Das ist im unbeheizten Pool auch nicht sonderlich schwer, denn der ist nicht nur recht tief, sondern auch mit zahlreichen Büschen und Bäumen von jeglichem Sonnenlicht, das ihn aufheizen könnte, abgeschirmt. Da wird ein Bad bei gefühlten 10 °C schon zur Mutprobe. Na ja, immerhin spürt man dann seinen Körper ganz intensiv.

Abends sitzen alle beisammen und spülen ihren Muskelkater mit billigem Landwein und einheimischen Bier herunter. Aber das ist wahre Glückseligkeit, wenn man sich so über Kleinigkeiten freuen kann.

Mal ganz davon abgesehen, dass man normalerweise diese Leute nie zu seinen Freunden zählen würde, geschweige denn, mit ihnen zu verreisen, schwirrt doch überall Mitgefühl, Liebe und Frieden durch die Luft, der man sich einfach nicht entziehen kann.

Am Ende weiß ich Dinge, die ich auch schon vorher gewusst habe, nur sind sie mir jetzt bewusst geworden. Ich schlafe gerne aus. Ich möchte wenigstens im Urlaub nach meinem eigenen Biorhythmus leben und nicht nach dem eines vor über 2.000 Jahren gestorbenen Inders.

Aber ich habe auch die Natur wieder mehr für mich entdeckt und jeden Tag 4 Stunden Yoga haben meinen Körper richtig in Form gebracht. Oder war es doch eher der sexy Masseur, bei dem ich 4 Anwendungen gebucht hatte?

Und wenn ich so recht überlege, war es doch ganz toll. Wisst ihr was, ich glaube, wir sehen uns im nächsten Jahr womöglich wieder – natürlich auf einem Yoga-Retreat!

Namasté
Deine Diana

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1 Kommentar

  1. zsuzsa

    Danke für deine erfrischenden Worte! Ich finde auch, man sollte nicht alles so Yoga-ernst nehmen und darf öfter auch mal kritisch sein, ohne gleich schlechtes Karma zu verbreiten … ich mag deine Newsletter sehr gern!

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Namasté

Ich bin Diana, Yoga-Enthusiastin und Bloggerin.

Hier schreibe ich über mein Leben als leidenschaftliche Yogini auf und neben der Yogamatte.

Viel Spaß beim Lesen!

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